Andreas Peschka: Halsstarriger Autodidaktismus

Video ohne Ton ab 00:30
Das Vorlesungsverzeichnis der Abendschule wurde im Rahmen einer Veranstaltung im Thalia Theater in Hamburg vorgestellt. Die Online-Dokumentation dieser Seminar-Vorstellung ist leider unvollständig.

Nun, da die Tonspur hin ist, ist’s wohl günstig, mit ein paar Stichworten meine Ansage vor der grünen Wand zu rekonstruieren.

1.) Ich meldete mich als freier Anbieter, wegen eben "freier" Anbieter. Auch habe ich mich als Autodidakt gekennzeichnet, weil schon mit Auftritt eines Autodidakten die Grundhypothese des Abends, "die Verknappung von Bildung" einen absurden Schimmer erhält. Selber lernen, sich von institutionellen Beibringern unabhängig machen, das Leben als Lernstoff, die globale Gesellschaft als Quelle für Kulturgut, Werte und Wissen (alles drei praktisch überall zu finden und medial inzwischen überbordend verbreitet, zumindest für das anwesende Publikum) und als Chance anzunehmen , kann in Folge überhaupt zu eigenständigem, Weltsichten generierenden Lernen/Erfinden sich auswachsen. Daß im Konzert der Bildungschancen, die Beibringmonopole und ihre Rolle als Karriereberechtigungschancenerteiler (S’ist so monströs, wie dies Wort, schlimmer!) vielleicht auch mal relativiert werden ist nur gut — es gibt allerdings ein ungefähres Katergefühl, bei den Beibringern selbst, ist ja klar, bei den Belehrten, als Jammer, nicht mehr gefüttert zu werden. An Alma Maters Brust zu nuckeln hat auch mal ein Ende. Oder wie?

2.) Sodann war ein Kurs zu entwickeln, der eigentlich keiner sein kann, aber dennoch absolut notwendig ist, mindestens so erscheint. Eine Art kosmisches Curriculum für alle, die auf der Erde lernfähig sind.

Ich schilderte dazu in drei Schüben unsere Weltlage als Metapher und Basis:

a - Im Magadi-Natronsee, der sich im Großen Grabenbruch Afrikas gebildet hat, gibt eine eigenartige Population von Fischen, die in dem ätzenden und giftigen Wasser des Sees überlebt. Die Fische nutzen dazu Süßwasserquellen, die im See aufsteigen und die Natronlake genug verdünnen, daß die Fische es dort aushalten können. Beobachtet man die Fische, bemerkt man, daß sie immer nur in einem Kreis schwimmen, dessen Zentrum sie nie queren. Das liegt daran, daß die Quellen heiß sind. Sie fördern kochendes Wasser. Die Fische leben also um jede Quelle in einem engen Bereich zwischen Verbrühen und Verätzen. Und nur, wenn die Laune der Regenzeiten es will strömt soviel Wasser in die Quellen, daß sie sich zu größeren Gebieten vereinen und ein Hin und Her, eine seeinterne Raumfahrt möglich machen.

b - Wir leben in einer ganz ähnlichen Situation. Von unten ist uns durch die radioaktive Hitze der tieferen Erdschichten eine Todesgrenze gesetzt, nach oben hin beginnt oberhalb der Lufthülle das Vakuum des Weltraumes, für uns ebenfalls eine tödliche Umgebung. Existentiell interessant ist zudem unsere Position auf der Außenseite der Erd-Planeten-Kugel, die ist günstig für unseren Ausblick in die Tiefen des Alls, von wo wir informiertes und energiereiches Licht erhalten, ebendiese Position liefert uns aber zugleich der Willkür kosmischer Zufälle und Kräfte aus.

c - Nun, das sind wir schon immer gewohnt, wenn es uns auch noch nicht voll bewußt sein mag. Aber mit einer Wendung, die unsere Außenseiterposition noch verschärft, kann vielleicht ein bestimmter Sinn menschlicher Bildung über die Fähigkeit der Biosphäre evolutionär zu lernen hinaus deutlich werden und kurszielmäßig Verwendung finden.

Unser Blick in den Weltraum hinaus fördert Vergangenes. Das Licht, das uns die Informationen liefert, kommt von sehr weit und brauchte seine Zeit bis hierher. Während wir das Gefühl haben, wir schauten in eine riesige Weltraumhöhle hinein, ist es wohl eher so, daß wir hier, von der Höhe unserer Gegenwart in eine Vergangenheitstiefe schauen, an deren Grunde verschwommen Raum/Zeit-Kräfte die Möglichkeiten unserer Existenz schufen, die uns noch immer maßgeblich sind. Nehmen wir den schwarzen Raum als Kugel, den sogenannten Urknall als Zentrum, so leben wir – die Weltraumhöhle umgestülpt – wie Wasserläuferinsekten auf einer dünnen Schicht Gegenwart. Über uns die Zukunft. Jedoch gibt es die Zukunft nicht wie die Straße hinter dem Horizont, die wir als dort vorhanden annehmen. Nein, die Gegend, in die unser dünnes Häutchen Gegenwart hineinexpandiert, ist nicht. Ist Nichts. Und dennoch haben wir das dringende Gefühl, mindestens alles Neue käme von dort.

Insofern ich als Konzeptkünstler plastisch arbeite, habe ich nun schon eine intensive Topographie erzeugt, die weiterhin zu fühlen, zu denken und zu spekulieren geben kann. Für einen Kurs ist aber noch eine Zutat nötig.

3.) Wir leben auf der Gegenwartsoberfläche einer Welt, die sich unter dem Druck immer raumgreifenderer Komplexitäten aufbläht und expandiert. Was wird, wird aus der Vergangenheit begründet, in der Gegenwart komplexer vernetzt und zu einer weiteren Gegenwartshaut aufgespannt, die erneut … Man schaut nach unten in die schwarze Kugel Vergangenheit liest sie wie eine Orakelkugel, wenn man wissen will, was in der Gegenwart geschehen wird. Zukunft erscheint unnötig.

Mein Kursangebot stützt sich auf folgende Überlegung: In der Anthropologie gibt es einen Topos, daß der Mensch zum Menschen wurde, als er sich anders als das äsende und jagende Getier aufrichtete, um zu den Sternen aufzuschauen um sich ihnen zu stellen. Wie wär’s mit einem entsprechend aufgerichteten Blick zur Zukunft hinauf?

Mit dieser kosmischen Streckbewegung ist meine Plastik umrissen, und wie alle meine Arbeiten als Anlage für weiteres eingerichtet.

Mit Dank und Gruß und Einladung, Ihr Andreas Peschka